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Stilistisch differenzierter Wortbestand




 

Grundkriterium: Die sprachlichen Einheiten dieser Gruppe sind aus inner- und außersprachlichen Gründen nicht allen Deutschsprachigen gleicherweise verständlich, werden nicht von allen gleicherweise gebraucht. Sie haben kein einheitliches stilistisches Modell. Hier lassen sich zwei Untergruppen voneinander absondern:

1) die stilistisch vollständig oder partiell kolorierte Lexik, d.h. Wörter und Wendungen, deren absolute Stilfärbung im Sprachsystem schon den Gebrauchswert in der Rede vorausbestimmt und dadurch gewisse Schranken der Verbreitung errichtet, und

2) charakterologische Lexik, d.h. Wörter und Wendungen unterschiedlicher Stilfärbung, die nicht allen Sprachbenutzern gleicherweise bekannt sind, da sie zeitliche, territoriale, berufliche, soziale und nationale Gegebenheiten charakterisieren. Die stilistische Leistung dieser Ausdrücke besteht in der Wiedergabe unterschiedlicher Kolorite.

Da die stilistisch kolorierte Lexik im wesentlichen schon zusammen mit dem Problem stilistische Bedeutung behandelt wurde, gehen wir nun unmittelbar an die Besprechung der zweiten Untergruppe heran.

Diese zweite Untergruppe der differenzierten Wortbestands verleiht der Aussage ein bestimmtes Kolorit, sie versieht den schriftlichen und mündlichen Text mit den typischen Merkmalen einer bestimmten Zeit, einer bestimmten Landschaft, einer bestimmten national homogenen Bevölkerungsgruppe und anderer gesellschaftlicher Faktoren. Unter Kolorit verstehen wir die für konkrete Ereignisse, Sachverhalte und Situationen charakteristische Atmosphere, die dank der sprachlichen Eigenart ihrer Wiedergabe fühlbar wird. Wir müssen dabei zwischen bewusster Koloritzeichnung und dem natürlichen Kolorit der Aussage unterscheiden.

Die Koloritzeichnung mit Hilfe charakterologischer Ausdrucksmittel ist Resultat einer gezielten Arbeit, den realistischen Hintergrund, auf dem sich die Ereignisse abspielen, dem Empfänger klar vor Augen zu führen. Im Gegensatz zu dieser bewusstensprachstilistischen Untermalung und Untermauerung steht das natürliche Kolorit, das uns ohne Dazutun des Senders lebenswahre Abbilder einer bestimmten Epoche, einer bestimmten Nation erkennen lässt. Der Sprecher/Schreiber berichtet Gegebenheiten, die er als Zeitgenosse miterlebt und daher mit den ihm wohlvertrauten Bezeichnungen benennt.

Hier werden folgende Kolorite in ihrer sprachstilistischen Ausformung umgerissen werden:

1) typisierende Kolorite, denen gesellschaftliche Determinanten zugrunde liegen; sie stellen unterschiedliche Fakten im Leben der Menschen realistisch-verallgemeinernd dar. Hierher gehören:

a) das historische Kolorit, bedingt durch das grundlegende gesellschaftliche Moment – die Zeit;

b) das nationale Kolorit im engeren Sinn (betrifft die Unterscheidungsmerkmale der nationalen Varianten innerhalb einer Sprache);

c) das nationale Kolorit im weiteren Sinn (betrifft die Spezifik verschiedener Nationalsprachen);

d) das soziale Kolorit: in der Rede bestimmter Bevölkerungsgruppen und Altersstufen; innerhalb bestimmter funktionaler Sphären des Sprachverkehrs; berufliches Kolorit.

2) individualisierende Kolorite, die Einzelmenschen nach ihrer persönlichen Eigenart im Ganzen, aber vor allem nach ihrer Sprechweise charakterisieren, wobei dem gesellschaftlichem Moment eine wichtige Rolle zukommt.

Betrachten wir nun den Wortschatz, der sämtliche Kolorite sprachstilistisch aktualisiert. Es ist gleich darauf aufmerksam gemacht, dass einige charakterologische Gruppen polyfunktional sind, d.h. dem jeweiligen Text bald das eine, bald das andere Kolorit verleihen, bald die eine, bald die andere stilistische Funktion ausüben. Im Folgenden wird daher gezeigt, dass ein und dieselbe charakterologische Gruppe (Untergruppe) in unterschiedlichen Kontexten gleichzeitig mehrere Typen der genannten Kolorite und mannigfache Stilwerte aufweisen kann.

1. Historismen und lexische Archaismen.

Primäre stilistische Funktion der Historismen und Archaismen ist die Prägung des Zeitkolorits. Von großem Interesse für die stilkundliche Forschungsarbeit ist die charakterologiscge Untergruppe, die uns Realien der

Vergangenheit – Benennung von Ämtern und Würden, die heute vergessen oder anders benannten Gegenständen, von Modeerscheinungen früherer Zeit u.a.m. – vor Augen führt. Wenn wir heute Schillers „Kabale und Liebe“ lesen, stoßen wir auf eine ganze Reihe unterschiedlicher Lexeme. Von der Stilistik des Empfängers im 20. Jahrhundert aus gesehen, sind es Historismen und Archaismen, deren Erklärung wir erst in Nachschlagewerken und Wörterbüchern finden. Der Dichter selbst, als Zeitgenosse der Handlung seines Bühnenstücks, hat diese Ausdrücke als natürliche sprachliche Ausformung der aktuellen Zustände, Einrichtungen und Gegenstände benutzt und damit – ohne stilistische Absicht – ein objektives Kolorit geschaffen. Von der Stilistik des Senders aus betrachtet, waren alle diese Ausdrücke dem jungen Schiller geläufig, er konnte keine anderen zur Schilderung seiner Gegenwart wählen:

Luise: Wollen Sie mich akkompagnieren, Herr von Walter, so mach´ ich einen Gang auf dem Fortepiano (Sie öffnet den Pantalon).

Völlig unbekannt ist dem modernen Leser das Substantiv Pantalon in der szenischen Anmerkung. Dieses Lexem ist im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts entstanden als Bezeichnung für ein klavierartiges Instrument, den Vorläufer des

Hammerklaviers. Der Ausdruck ist allerdings bald nach der Niederschrift des Dramas aus dem aktiven Wortschatz verschwunden, weil der Gegenstand, den er bezeichnete, außer Gebrauch kam. Er erlag der Konkurrenz zweier Bezeichnungen für das sich entwickelte Tasteninstrument: 1) Fortepiano und 2) Flügel – ein großes Hammerklavier mit waagerecht liegenden Saiten, das im18. Jahrhundert zu gleicher Zeit in Italien, Frankreich und Deutschland hergestellt wurde. An einer anderen Stelle des Dramas begegnen wir gerade diesem Wort.

Lady Milford erzählt von ihrer Jugend: „Ich hatte nichts gelernt als ein bisschen Französisch – und ein wenig Filet und den Flügel“. Das Substantiv Flügel ist hier zweifellos stilistisch bedingt. Während sich im Haus des Stadtmusikus (Historismus: vom Rat der Stadt besoldeter Berufsmusiker) noch das primitive Instrument (Pantalon) befand, hatte Lady schon auf dem neuentwickelten Tasteninstrument spielen gelernt. Durch die Wahl des Wortes Flügel ist in diesem Kontext ein Ansatz zur sozialen Koloritzeichnung gegeben.

Gehen wir nun vom natürlichen Kolorit zur bewussten Untermalung (Stilisierung) des geschichtlichen Hintergrunds in der Koloritzeichnung über. Thomas Mann z.B. macht uns gleich zu Beginn des Romans „Lotte in Weimar“ mit der Zeit bekannt, in der die Handlung vor sich geht:

Mit der ordinären Post von Gotha waren im Gasthof „Zum Elefanten“ Frauenzimmer angekommen. Frauenzimmer, ein Archaismus, war bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts allgemein schriftdeutsch auch für vornehme Frauen gebräuchlich, kann also hier gleichfalls im Dienst der historischen Stilisierung erklärt werden.

Wörter und Wendungen verschwinden nicht auf einmal aus der gesamten Sprache. Sie können aus der neutralen Literatursprache abgehen, aber in einzelnen sozialen oder territorialen Dialekten sowie in der volkstümlichen Umgangssprache als gängige Lexeme bleiben; sie können ferner in verschiedenen Funktionalstilen in verschiedenem Tempo aus dem Gebrauch gezogen werden. Für die heutige Alpenbevölkerung ist das Wort Ross alles eher als ein Archaismus oder Poetismus. Der Bergbauer hat sein Ross im Stall und kein Pferd! Er spricht von einem Rossmagen (sehr gesunder Magen), von einer Rosskur (radikale Kur) u.a.m. In der Literatursprache der Gegenwart ist jedoch Ross gemeinhin veraltet und wird im Vergleich mit dem neutralen Synonym Pferd als stilistisch gehoben, gelegentlich sogar als poetisch empfunden (ein edles feuriges Ross; er schwang sich auf sein Ross). Am längsten halten sich veraltende und veraltete Ausdrücke im offiziellen Verkehr.

Eine weitere stilistische Verwendungsmöglichkeit der polyfunktionalen Historismen und lexischen Archaismen steht im Dienst von Humor und Satire.

Die Stadt Göttingen, berühmt durch ihre Wurste und Universität , gehört dem Könige von Hannover und enthält 999 Feuerstellen, diverse Kirchen... (H. Heine, Die Harzreise). Hier wird durch die Wortwahl angedeutet, dass die Universitätsstadt auf der primitiven Stufe der Vorzeit steht, wo es anstelle der Herde noch offene

Feuerstellen gab. Das historische Kolorit, das unwillkürlich bei bloßer Nennung des in dieser Bedeutung veralteten Ausdrucks wachgerufen wird, ist eines der zahlreichen Stilmittel, durch die Heine die Rückständigkeit der Stadt verspottet.

Zu stilistischen Zwecken können Historismen und Archaismen in unterschiedlichen kommunikativen Bereichen gebraucht werden.

2. Neologismen

Neue Wörter, die im gesellschaftlichen Sprachverkehr auftauchen, können verschiedene „Schicksale“ haben. Aus stilistischer Sicht werden sie in drei Gruppen gegliedert:

a) Wörter, die zu einem bestimmten Zeitpunkt aus einem bestimmten Anlass entstehen und allmählich als lexische Normen in den Wortschatz der Literatursprache und literarischen Umgangssprache aufgenommen werden. Sobald sie im aktiven Wortschatz des Sprachsystems einen festen Platz eingenommen haben, hören sie auf, Neologismen zu sein, obwohl sie noch längere Zeit linguistische Anzeichen der Neuheit bewahren und außerlinguistische Konnotationen erwecken. Wir nennen sie Neologismenbestimmter Zeitabschnitte, z.B. LPG – Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft; Atomantrieb.

b) Wörter, die gleichfalls durch historische Umstände bedingt, neu entstehen und im Laufe einer gewissen Zeit in fast allen kommunikativen Bereichen intensiv gebraucht werden. Dann aber gehen sie in den passiven Wortbestand über – sie werden durch neue gesellschaftliche Faktoren dazu gezwungen. Aus diesem „Ruhestand“ holt man sie nur mehr zu stilistischen Zwecken hervor, zur Untermalung des Zeitkolorits oder auch zur individualisierenden Porträtzeichnung (z.B. die für das „dritte Reich“ typische Lexik).

Hierher gehören auch Wörter, die zwar als Lexeme schon bisher im Sprachsystem existierten, jedoch aus bestimmten gesellschaftlichen Gründen ihre lexische und stilistische Bedeutung wesentlich veränderten und ein außerordentlich hohes Häufigkeitsvorkommen erlangten. Mit dem Verschwinden ihres Änderungsanlasses gehen sie nun entweder in den passiven Wortschatz über oder sie kehren zu ihrer früheren lexisch-stilistischen Bedeutung und ihrer alten Gebrauchsfrequenz über. Beide Unterarten nennt man vorübergehende Neologismen.

c) Wörter, die auf der Stufe individueller Verwendung (mit bestimmter stilistischer Motivierung) stehen bleiben – die einmaligen (okkasionellen) Neologismen, z.B. die Montagmorgenstadt: laut, volkreich, lebendig (Brežan, Reise nach Krakau), dazu aber auch Wörter, die als Ausgangspunkt offener Reihen zur Herausbildung analoger Neologismen führen können – zu potentiellen Neologismen, denen meist keine besonderen stilistischen Funktionen eignen.

Die beiden ersten Gruppen neuer Wörter (a – Neologismen bestimmter Zeitabschnitte und b – vorübergehende Neologismen) charakterisieren unmittelbar das Zeitkolorit. Der jüngsten Zeit entstammen die Komposita Umweltschutz, umweltfreundliche Gasautos u.a.m.

Bei den vorübergehenden Neologismen lassen sich zwei Untergruppen absondern. Eine Illustration zum ersten Typ: Coventri, eine englische Industriestadt, wurde als eines der ersten Angriffsziele der faschistischen Luftkriegsführung im November 1940 fast völlig zerstört. Dieses Ereignis rief das Verb coventrieren in der übertragenen Bedeutung von „ausradieren“ hervor – ein „Modewort“ der Nazipresse. Man drohte, London und andere Städte zu coventrieren, falls sie sich nicht ergeben. Dieses Wort, Zeugnis der barbarischen Kriegshandlungen, ist mit dem endgültigen Sieg über Hitlerdeutschland in Vergessenheit geraten.

Zu den Wörtern der zweiten Untergruppe vorübergehender Neologismen gehören z.B. Lexeme, die in der Nazizeit semantisch und stilistisch umgedeutet und umgewertet wurden. Schon zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert waren das Adjektiv fanatisch, sowie die Substantive Fanatiker, Fanatismus ins Deutsche eingedrungen; sie galten als tadelnde Bezeichnung für jedwede hemmungslos rasende Leidenschaft. Unter der faschistischen Herrschaft wurden aber diese Ausdrücke zu positiven Werturteilen, zu Schlüsselwörtern der Sprache des „dritten Reiches“ (fanatisches Gelöbnis, Bekenntnis).

Als vorübergehende Neologismen dieser Untergruppe können auch Modewörter unterschiedlicher Perioden angesehen werden, die eine Zeitlang nach ihrem Auftauchen im Sprachverkehr übermäßig viel gebraucht werden, dann aber, sobald sie schon abgenutzt sind, durch neue, ausdrucksstarke Nachfolger abgelöst werden. Vgl.: fabelhaft, sagenhaft, toll, einmalig, erstklassig u.a.m. Diese und ähnliche Lexeme können ebenso zur typisierenden historischen oder sozialen wie auch zur individualisierenden Koloritzeichnung verwendet werden.

Stilistische Anachronismen (Zeitwidrigkeiten). Damit wird ein Stilmittel gemeint, wo ein Wort oder eine Redewendung in Bezug auf eine Zeit gebraucht werden, in der sie, zusammen mit dem entsprechenden Begriff, entweder noch nicht oder schon nicht mehr im Umlauf sind. Betrachten wir den Gebrauch eines Wortes oder einer Redewendung für die Epoche, in der sie noch nicht existieren. Eine solche Verwendung steht meist im Dienst von Witz und Satire oder bezweckt Anspielung auf bestimmte Zeitereignisse. So ist es, wenn Weinert in der „Bänkelballade vom Kaiser Nero“ über Bomben, Benzin und Bars spricht. So ist es, wenn er in dieser beißenden Satire auf den Naziterror (nach dem Reichstagsbrand 1933) die verhafteten Christen auf der Flucht erschießen lässt, wenn er von der Leibschutzstaffel des Kaisers Nero erzählt. In den letzten zwei Beispielen üben die Anachronismen (d.h. im konkreten Fall die Verwendung von Nazimodewörtern in Bezug auf die neronische Zeit) die klare Funktion von Anspielungen als Stilmittel der politischen Satire aus.

Sprachliche Anachronismen entstehen auch bei zeitwidrigem Gebrauch der Wortbedeutung, so etwa, wenn das Wort Kumpel in der Erzählung aus der Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts nicht in seiner damaligen Bedeutung (Arbeiter in Bergwerken), sondern in der neuen Bedeutung als familiär-umgangssprachliche oder saloppe Anrede im Verkehr beliebiger Arbeitskollegen verwendet würde.


Eine zweite Art des Anachronismus entsteht dadurch, dass Wörter, die heute schon als Historismen gelten, in Bezug auf die Gegenwart angewendet werden. Auch sie stehen meist im Dienst von Humor und Satire. Es handelt sich um einen harmlosen Witz, wenn Touristen, auf ihrer Wanderung an einem See angelangt, am Ufer ein Boot alter Bauart entdeсken und, gutmütig, es als Arche Noah bezeichnen. Hier nähert sich der Anachronismus seinem Wesen nach dem Tropus.

3. Nationale und territoriale Dubletten (innerhalb des Deutschen), Dialektismen

Die ersten beiden charakterologischen Untergruppen (nationale und territoriale Dubletten)gehören in den Bereich der literarischen und literarisch-umgangssprachlichen Sprachebene, während die dritte Wortklasse (Dialektismen) aus der mundartlich gefärbten Umgangssprache sowie aus unterschiedlichen groß- und kleinflächigen Dialekten stammt. Sie alle erfüllen aber die gleiche stilistische Funktion: dank bewusster und gekonnter Verwendung dienen sie einmal einer anschaulichen Zeichnung des nationalen und territorialen Kolorits, zum anderen schaffen sie das natürliche Kolorit bloß dadurch, dass der Sender die zu seiner Zeit üblichen Sprach- und Stilnormen gebraucht. Auch durch diese ungewollte sprachstilistische Untermalung assoziiert der Empfänger die Aussage zwangsläufig mit einer bestimmten nationalen bzw. landschaftlichen Spezifik der Kommunikation. Bei den hier zu besprechenden charakterologischen Untergruppen tritt der polyfunktionale Charakter in den Hintergrund, dennoch kann sich die stilistische Hauptfunktion (nationales und territoriales Kolorit innerhalb des Deutschen) auch gelegentlich mit sozialem und zeitlichem Kolorit verbinden.

Unter dem Begriff nationale Varianten versteht man unterschiedliche Ausprägungen einer Literatursprache bzw. literarischen Umgangssprache auf getrennten staatlichen Territorien mit national homogener Bevölkerung. Die nationalen Varianten bilden, gleich selbständigen Nationalsprachen, ihr eigenes soziales Modell: Literatursprache, Umgangssprache, Dialekte. In der Schweizer Variante fеhlt allerdings die Umgangssprache als Sprachschicht. Ihre Funktion übernimmt das Schwyzertüzsch/Schweizerdeutsch (d.h. die Gesamtheit der Dialekte mit lokalen Divergenzen im Laut- und Formenbestand, in Lexik und Grammatik) bei unterschiedlicher Graduierung des Literarisch-Umgangssprachlichen und rein Dialektalen je nach dem kommunikativen Bereich und der Art der Bevölkerungsgruppe.

Die nationalen, territorialen und dialektalen Synonyme sind nicht in allen kommunikativen Bereichen gleich stark vertreten. Zweifellos fallen die Wortschatzdivergenzen auf dem Gebiet der Alltagsrede besonders ins Auge – z.B. bei der Bezeichnung von Lebensmitteln und Speisen, Arbeitsprozessen und Werkzeugen, Anreden und Grüßen: ein und dieselbe Wirklichkeitserscheinung kann unterschiedlich benannt werden. So lädt der Deutsche zu Kaffe und Gebäck ein, während der Österreicher seinen Gästen süße Bäckerei vorsetzt. Den beiden Lexemen nationaler Ausprägung steht eine ganze Reihe territorialer und dialektaler Synonyme zur Seite.

Hyperhochdeutsch. Im Zusammenhang mit den nationalen und territorialen Dubletten sowie insbesondere mit den Dialektismen darf nicht die interessante stilistische Erscheinung des sog. Hyperhochdeutsch übersehen werden. Wenn Menschen, die sich gewöhnlich nicht an die literarischen Normen des Gesellschaftsverkehrs halten, dem Gesprächspartner durch tadelloses Hochdeutsch imponieren wollen, kommt es leicht zu einer gewissen Überkompensierung.

Den Schulkindern wird immer wieder die Umschreibung des Verbs mit tun als Fehler angekreidet, z.B. sie tut an der Tafel schreiben anstatt sie schreibt. Daher kann man von übervorsichtigen Kleinen die Fügung zu hören bekommen: Der Zahn weht anstatt tut weh.

Hyperkorrekte Formen in Sprachporträts dienen als charakterologisches Mittel der typisierenden und individualisierenden Koloritzeichnung.

4. Fremdsprachige Wörter

Die einzelnen charakterologischen Gruppen sind mehr oder weniger polyfunktional, indem sie unterschiedliche Kolorite ausdrücken und unterschiedliche stilistische Funktionen ausüben. Dies gilt in hohem Maße für die fremdsprachigen Wörter (Internationalismen, populäre, unpopuläre, d.h. im Deutschen wenig gebrauchte Fremdwörter) und insbesondere für die fremdsprachigen Zitate. In erster Linie dienen sie zur Untermalung des nationalen Kolorits eines bestimmten Volkes zu einer bestimmten Zeit. Fremdsprachige Wörter und insbesondere fremdsprachige Zitate können aber auch das soziale Kolorit einer bestimmten Zeit angeben.

Zu den fremdsprachigen Wörtern in der Rede einzelner Bevölkerungsgruppen ließe sich eine ansehnliche Zahl von Entlehnungen aus dem Angloamerikanischen im Slang der städtischen Jugend hierzurechnen. Doch schon am Tag nach der Geburtstagsparty war aus dem blassen Backfisch ein selbstbewusster Teenager geworden: Maxi-Rock statt Pferdeschwanz, auffallendes Augen-Make-up und betont sicheres Gehabe. Diese in einer BRD-Zeitschrift enthaltene Notiz bringt gleich drei Angloamerikanismen, die in der allgemeinen Literatursprache wie in der Sprache der schönen Literatur festen Fuß gefasst haben. Die Party hat „das gesellige Beisammensein“ verdrängt, der Teenager – „den Backfisch“. Die lexische Reihung Augen-Make-up stellt eine Präzisierung des Allgemeinbegriffs „Verschönerung durch kosmetische Mittel“ dar.

Die auf den Jugendslang beschränkten fremdsprachigen Wörter beziehen sich hauptsächlich auf Sport und Jazz. Daher z.B. die offene Reihe: Sport-, Fußball-, Handball-, Box-, Jazzfan; Film-, Schlager-, Charlie-Chaplinfan u.a.m.

Oft lässt sich beobachten, wie Lexeme eines engen Bereichs ihren kommunikativen und stilistischen

Gebrauchswert ändern. So ist z.B. das englische Adjektiv fit (leistungsfähig) in den Sportbereich als umgangssprachlicher Ausdruck eingegangen, noch verstärkt im Kompositum topfit (beide nur prädikativ zu gebrauchen!). Allmählich entsteht aber auch eine Reihe substantivischer Zusammensetzungen, wie Fit-Lauf, Fit-Aktivität,

Fit-Abzeichen u.ä. – eine offene Reihe, die immer weiter anwächst. Diese Komposita können heute als normalsprachlich angesehen werden.

Fremdsprachige Zitate können Einzelwörter und Wortgruppen sein, aber auch Sätze und Absätze. In stilistischer Hinsicht erfüllen sie – ebenso wie die fremdsprachigen Wörter – zweierlei Funktion. Erstens dienen sie der objektiven Mitteilung, der sachlichen Beweisführung. Zweitens bilden die fremdsprachigen Zitate einen wichtigen Bestandteil der historischen, nationalen und sozialen Koloritzeichnung und erzielen expressiv-stilistische Effekte.

5. Termini, Berufslexik, Berufsjargonismen

Die stets vorwärtsschreitende wissenschaftlich-technische Revolution sowie die beständig wachsende Anteilnahme der Menschen an Vorgängen in Kunst und Kultur führen als soziologische Voraussetzungen zu linguostilistischen Folgerungen: zur steigenden Relevanz der Fachlexik in sämtlichen kommunikativen Bereichen des Gesellschaftsverkehrs. Die mündliche und schriftliche Rede der Menschen gewinnt ein natürliches professionelles Kolorit.

Selbstverständlich kommt es zur Widerspiegelung der objektiven beruflichen Sprachcharakteristik in Form beruflicher Koloritzeichnung, zu gezielten Stileffekten bei entsprechender Thematik in der schönen Literatur, der Presse und Publizistik. Unter Fachlexik fassen wir folgende charakterologische Untergruppen zusammen: deutsche und fremdsprachige Termini, funktionalstilistisch gefärbte Lexik nichtterminologischer Art (z.B. Adverbien und Präpositionen, deren Gebrauch sich nur auf bestimmte Stile und Substile beschränkt, wie etwa verbindlichst (danken), zwecks u.ä.), Berufslexik; dazu kommen die Berufsjargonismen als emotionale (scherzhafte oder satirische) Synonyme zur neutralen Fachlexik. Die professionelle Kolorierung bildet ein Element des sozialen Kolorits.Bemerkenswert, dass zahlreiche Fachausdrücke – meist Berufslexik, weniger oft Termini – neben ihrem professionellen Kolorit auch nationales Kolorit aufweisen.

In der Berufslexik macht sich die Tendenz zur Sprachökonomie bemerkbar und damit im Zusammenhang auch gelegentlich ein Übergang zum emotionalen Synonym, zum Berufsjargonismus. So z.B. ist im Wortschatz der Journalisten Manus als Kurzform von Manuskript entstanden, Gänse als scherzhafte Abkürzung von Gänsefüßchen, im Schnitt (Durchschnitt).

Die Stilfärbung der Berufsjargonismen umfasst die Skala vom Literarisch-Umgangssprachlichen über das saloppe bis zum Groben.

Realienbezeichnungen/Realienwörter. Während Fachausdrücke und Berufsjargonismen als Schichten des Wortschatzes eine lexikologische Erscheinung sind, müssen die Realienwörter als stilistische Kategorie angesehen werden. Sprachlich werden sie ausgedrückt durch Termini und Berufslexik, durch Historismen und Archaismen, durch Neologismen (oft in Form von Kurzwörtern), durch phraseologische Fügungen (insbesondere Zitate), durch Familiennamen, Städte-, Länder-, Fluss- und Bergnamen, durch Ziffernmaterial usw. Realienwörter bilden einen wesentlichen Faktor in sämtlichen Stilen der Nationalsprache. Eine

besonders wichtige Rolle spielen sie im Stil der Wissenschaft und im publizistischen Stil, wo sie zur Beweisführung dienen. Sie werden durchweg in ihrer logisch-gegenständlichen Bedeutung mit expressiver Nullfärbung gebraucht, wobei sie dem Gesagten größeren Nachdruck, größere Überzeugungskraft verleihen. Die Realienwörter sind ein erneuter Beweis dafür, dass ein Lexem an sich völlig neutral, eindeutig-nominativ und jeder Emotionalität bar sein kann, im Großzusammenhang aber dennoch eine bestimmte stilistische Aufgabe erfüllt.

6. Soziale Jargonismen

Unter sozialen Jargonismen versteht man die spezifische Lexik bestimmter Kreise von Menschen, die sich bewusst – aus unterschiedlichen Gründen und auf unterschiedliche Art – von ihrem Sprachkollektiv absondern wollen. Dies betrifft in der Klassengesellschaft die sog. Oberschichten (Adel, Großbourgeoisie, „hohes“ Militär) und ihren Gegenpol, die sog. deklassierten Elemente. Was die beiden Bevölkerungsgruppen miteinander verbindet, ist eine ablehnende bzw. feindliche Einstellung zur Gemeinschaft, in der sie leben.

Der Jargon der deklassierten Elemente, historisch als Rotwelsch entstanden, wird gewöhnlich als Argotbezeichnet. Einzelne Argotismen, die das objektive Sozialkolorit dieser Bevölkerungsgruppe charakterisieren – z.B. Café Viereck („Gefängniszelle“) u.a. – werden bei entsprechender Thematik in der schönen Literatur zur sozialen Koloritzeichnung verwendet. Auch in der Presse – z.B. heiße Ware (“gestohlene Ware“), Traumzigarette (= mit Rauschgift) u.a.

 










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